Montag, 24. März 2014

Schweizer Radio- und TV-Sender grenzen Rock aus

Ich muss dem Stefan Künzli voll und ganz zustimmen. Es gibt ja schliesslich einen Grund, wieso ich seit Jahren selten bis nie das Radio einschalte. Das gespielte Gedünse interessiert mich einfach nicht mehr.

Schweizer Radio- und TV-Sender grenzen Rock aus
Stefan Künzli
Stefan Künzli ist Redaktor bei der Zeitung «Schweiz am Sonntag».
Samstag, 22. März 2014 23:31
Alle wollen rocken: 25 000 Rockfans am Konzert der Ärzte am Festival Greenfield in Interlaken. Foto: Keystone
 
 

Wo gerockt wird, rollt der Rubel. Die Schweizer Rockbands Krokus, Gotthard und Eluveitie feiern internationale Erfolge. Hierzulande aber hat die Musik mit den Stromgitarren einen schweren Stand.

Fast 50 Jahre nach seiner Geburtsstunde ist Rock so populär wie nie. Die legendären Festivals in Wacken und Rock am Ring gehören zu den grössten Open Airs Europas und sind jeweils restlos ausverkauft. Auch das Rockfestival Greenfield in Interlaken ist eine Erfolgsgeschichte und zählt mit täglich 25 000 Zuschauern zu den «Big 5» der Schweiz. Das Geschäft mit der Rockmusik ist so lukrativ, dass in diesem Sommer gleich drei grosse Rockfestivals um die Gunst der Rockfans buhlen. Neben Greenfield das Sonisphere Rockfestival am 4. Juli in Basel sowie neu das dreitägige Open Air Rock am Ring in Hinwil. Wo gerockt wird, rollt der Rubel.

Vom ungebrochenen Rockboom profitieren die Schweizer Rockbands Krokus und Gotthard, die seit Jahrzehnten zu den erfolgreichsten Schweizer Bands gehören und deren Alben regelmässig Platz 1 der Schweizer Hitparade stürmen. Das schaffte im letzten Jahr auch die Emmetaler Hardrock-Band Shakra mit «Powerplay». Die aufstrebende Folk-Metal-Band Eluveitie, die in Deutschland Konzertlokale mit bis zu 1500 Fans füllt, komplettiert das erfolgreiche helvetische Rock-Quartett.

Anders das Bild in den Schweizer Massenmedien. Die privaten Formatradios lassen stilistisch nur einen sehr schmalen Pop-Range zu. Gefragt ist ein sogenannt durchhörbarer Pop-Teppich ohne Ecken und Kanten. Ein gleichförmiger Soundteppich, der nicht stören darf. Harte Stromgitarren stehen deshalb auf dem Index. Radio hat sich selbst zu einem Hintergrundmedium degradiert.

Dabei orientieren sich Privatradios streng an den Airplay-Charts, der Hitparade jener Songs, die an den Schweizer Radios am häufigsten gespielt werden (www.airplay.ch). Diese Woche sind mit U2, Sportfreunde Stiller, den Toten Hosen und der Genfer Band Stevans ganze vier Rock-Acts in den Top 100 platziert, und deren Songs sind alles andere als harte Kracher. Der Äther ist weitgehend rockfrei.

«Stromgitarren haben es in den elektronischen Medien schwer», bestätigt das Promo-Urgestein Rolf Schlup, der die Schweizer Szene wie kein Zweiter kennt. Gemessen am Erfolg der Rockmusik und der Schweizer Rockbands, sind sie massiv untervertreten. Die unter Hörerschwund leidenden Schweizer Radios haben den Mut verloren. Selbst AC/DC, längst familientauglich und in allen Wunschprogrammen am häufigsten gewünscht, hört man nur ausnahmsweise. Wenn Rock gespielt wird, dann sind es Rock-Balladen.

Dabei sind Stromgitarren längst massentauglich. Die Hörgewohnheiten von Herrn und Frau Schweizer haben sich gemäss Schlup längst verändert. Er kann deshalb nicht verstehen, dass die Radios ihre Kriterien nicht längst angepasst haben. «Ich bin überzeugt, dass die Radiostationen heute ihr Programm an den Wünschen und Bedürfnissen der Hörer vorbei zusammenstellen», sagt er, «ein Welthit wie Bohemian Rhapsody von Queen würde heute in keine Playlist aufgenommen», sagt er.

Auch der ehemalige öffentlich-rechtliche Störsender SRF 3 klingt heute nicht anders als die Privatradios. «SRF 3 spielt definitiv nicht ausschliesslich Rock-Balladen», betont Michael Schuler, der Fachleiter Musik, «ein unbekannter, harter Rock-Titel kann durchaus im Gesamtprogramm Platz finden, aber nicht am Morgen.» Die Fachredaktion achte darauf, dass «ein Titel ins Gesamtprogramm von SRF 3 passt». In der Sendung «Rock Special» würden die restlichen Genres wie Metal oder Speed Metal besprochen und gespielt, die sich nicht fürs Tagesprogramm eignen. Für Chef-Rocker Chris von Rohr von Krokus ist die Spezial-Sendung «leider nur ein rares, in die Nacht verbanntes Mauerblümchen, das SRF ein Rock-Alibi verschafft».

In der Schweiz besteht in Sachen Rock ein krasser Stadt-Land-Gegensatz. Auf einer Musikkarte der Schweiz würde eine tiefe Kluft deutlich, analog den Abstimmungen und Wahlen. Das Land und die Provinz ist die Hochburg des Rock und vor allem des Hardrock. In den urbanen Gebieten dagegen ist Rock verpönt. Hardrock hat hier ein massives Imageproblem. Der Stil gilt als uncool, unhip und verstaubt. Hardrock-Fans werden als Hinterwäldler und Machos dargestellt, so wie der unsensible, dumpfe Budi im Erfolgsfilm «Der Goalie bin ig». Er hört Hardrock, bastelt Modellflugzeuge und schlägt eines Abends seine Freundin Regi zusammen.

Diese Sicht herrscht in der Musikredaktion von SRF vor. Es sind gemäss von Rohr diese urban sozialisierten Musik-Redaktoren, die heimliche Pop-Polizei der Schweiz, die eine angemessene Vertretung des Rock verhindern und eine Art Soundsäuberung vornehmen. «Am besten hört man die Diskrepanz, wenn die Hörer selbst einmal etwas machen dürfen», sagt von Rohr.

Noch schlimmer ist die Situation für die Rockmusik beim Schweizer Fernsehen. SRF betont zwar, dass in den Sendungen «Eurovision Song Contest», «Die Helene Fischer Show», «Viva Volksmusik», «Hello Again!» und «Alperöösli» «ein sehr breites musikalisches Spektrum abgedeckt» wird, Rock bleibt aber ausgesperrt.

Selbst in «The Voice Of Switzerland» hat Rockmusik einen schweren Stand. Die wenigen Sänger, die sich in den letzten beiden Jahren mit Rock der Jury stellten, wurden chancenlos aussortiert. Denn die Jury ist mit zwei Soulsängern (Stefanie Heinzmann und Marc Sway), einem Rapper (Stress) und Blueser Philipp Fankhauser alles andere als rockaffin zusammengestellt. Wer «Highway To Hell» als Song wählt, hat schon verloren.

Eine stark urbane Schlagseite haben zudem die Swiss Music Awards (SMA). «Urban» und das Mini-Genre «Dance» haben ihre eigene Kategorie, wogegen Rock zusammen mit Pop eine Kategorie bildet. Die eifrigsten Award-Sammler sind denn auch Rapper Stress mit acht Auszeichnungen, gefolgt von DJ Antoine, Bligg und Bastian Baker mit je drei Awards. Dagegen ist Gotthard die einzige Rockband, die den wichtigsten Award für das beste «Album Pop/Rock National» bisher gewonnen hat.

SMA-Chef Oliver Rosa betont, dass gerade in diesem Jahr, mit der Nomination von Krokus, dem Auftritt von Gotthard und dem Award für Eluveitie, das Rockgenre gut vertreten war. Fakt ist aber, dass Rockbands regelmässig von Popacts verdrängt werden – auch in diesem Jahr. Alles hat für Krokus gesprochen. Die Band hat vom nominierten Album «Voodoo» doppelt so viel verkauft wie der nachmalige Sieger Bastian Baker. Auch die «Shares» auf Facebook deuteten mit 269 zu 81 auf einen klaren Sieg von Krokus hin. Doch die Rockband ging abermals leer aus. Die Pop-Polizei hat zugeschlagen.

Wie ist das möglich? Im Gegensatz zum deutschen «Echo» werden die Gewinner bei den SMA nicht gemäss Verkaufszahlen bestimmt, sondern über Publikums-Voting und eine Jury. «Das hat sich bewährt», sagt Rosa, «wir wollen die Awards nicht nur nach kommerziellen Kriterien ausrichten.»

Das Publikums-Voting kommt zur Hälfte zur Anwendung, das Sagen hat aber die Jury, die das Voting-Resultat in geheimer Abstimmung umstossen kann – eine Jury, die mehrheitlich aus Branchenleuten und Musikjournalisten von SRF und anderen Zürcher Medienhäusern besteht.

Die Rolle der Pop-Polizei hat sich auch in der Kategorie «Best Live Act» ausgewirkt, wo Luca Hänni statt Krokus nominiert wurde. «Wir mussten schmunzeln: Da spielst du in der ganzen Welt vor zigtausend Menschen und wirst nicht mal für den ‹Best Live Act National› nominiert», sagt von Rohr, «so etwas kann man nicht ernst nehmen. Damit macht sich der Award unglaubwürdig. Solange der blasierte, aalglatte Oliver Rosa und eine Jury mit urbaner Schlagseite das Sagen haben, wird dieser Award bleiben, was er immer war: Ein sich selbst feiernder Zürcher Inzucht-Durchlauferhitzer.» 

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